„Jeder von uns hatte mal einen Bandscheibenvorfall“

Welzheimer Wald.
Wo heute zwei moderne Rettungswagen in der renovierten Wache des DRK in Welzheim auf ihren nächsten Einsatz warten, sah es vor knapp einem halben Jahrhundert noch gänzlich anders aus. „Es gab keine Wache, bloß eine Scheune“, erinnern sich sieben Retter im Ruhestand, die kürzlich beim Rettungswachen-Fest des DRK in der Limesstadt Karl Knödler in den Ruhestand verabschiedet haben. Mehr als 320 Jahre haben die acht Männer für das DRK und die Menschen im Landkreis gearbeitet, Leben gerettet, Frühchen transportiert und die rasante Entwicklung des Rettungsdienstes in Deutschland mitgemacht.


„Jeder von uns hatte mal einen Bandscheibenvorfall“, erinnern sich die Retter – und können rückblickend darüber lachen. Auch wenn der Rettungsdienst in den vergangenen Jahrzehnten von enormen technischen Fortschritten geprägt war, leisten auch die Retter im 21. Jahrhundert körperliche Höchstleistungen. Nachtschichten, Patienten auf Tragen- und Tragestühlen transportieren, stets Ruhe bewahren und verunglückte Menschen noch am Unfallort reanimieren: Das geht an die Substanz. „Dass jemand fast 45 Jahre im Rettungsdienst tätig ist, das ist selten“, weiß DRK- Rettungsdienstleiter Marco Flittner und gratuliert Karl Knödler, der nach 44 Dienstjahren in Rente gegangen ist. Aller Anfang war schwer.

Die modernen Rettungswagen bezeichnet der Welzheimer Wachleiter René Demisch als „rollende Intensivboxen“. 185 000 Euro kostete das neue Allrad-Fahrzeug für den Welzheimer Wald. In den 70er Jahren sah das noch ganz anders aus. „Das waren Fahrzeuge mit Liege und Verbandmaterial“, sagen die Retter im Ruhestand.  Zwei Hausmeister vom Krankenhaus Welzheim fungierten Mitte der 70er Jahre als Fahrer für die Krankentransporter. Mitunter holten die Hausmeister sie zuhause in der Wohnung ab und fuhren zum Unfallort, erzählt Karl Knödler.
Eine medizinische Versorgung wie man sie heute kennt, fand Mitte der 70er Jahre nicht statt. Eine fundierte mehrjährige Ausbildung gab es noch nicht.

In den ersten Jahren waren sie daher überwiegend für den Transport zuständig. Sie waren eine Art „Hilfsarbeiter mit rettungsdienstlicher Aufgabe“, halten die verdienten DRKler fest. „Das war eine sehr harte Zeit“, sagt Günther Novotny. Die Männer waren mit schlimmsten Verletzungen konfrontiert. Erst 1984 wurde ein Bußgeld verhängt, wenn Autofahrer nicht angeschnallt waren. Airbag? Knautschzone? Nicht vorhanden. „Es gab richtig schwere Unfälle“, erinnern sich die Helfer, da habe auch mal ein Oberschenkelknochen rausgeguckt. Die Zahl der Verkehrstoten war deutlich höher als heute, somit auch die Anzahl der Schwerverletzten. Und diese mussten schnell ins Krankenhaus gebracht werden.
Doch oft waren die Retter in ihren frühen Berufsjahren allein unterwegs. Eduard Schneider erinnert sich, wie er zwei Schwerverletzte in den Wagen bugsieren musste. Oft half die Polizei mit. Die Patienten hatte er anschließend über den Rückspiegel im Blick, daher stammt der Begriff der „Spiegelrettung“.

Wo heute technische Geräte Auskunft über die Körperfunktionen bieten, arbeiteten Sanitäter wie Karl Knödler anfangs vor allem „mit Auge und Hand“. „Innerhalb von 30 Sekunden haben wir gewusst, was es ist“, sagt Eduard Schneider. Knödler habe jedem Patienten die Hand gegeben und „Grüß Gott“ gesagt. Dann wusste er: Schwitzt der Patient oder ist die Hand kalt? Wie hoch ist der Puls? Von diesen Erfahrungen haben jüngere Retter profitiert, weil die älteren Kollegen diese besondere Ruhe ausstrahlten, sagt DRK-Wachleiter René Demisch. Die „alten Hasen“ wussten, wie man mit wenigen Handgriffen Menschenleben retten konnte. Er habe großen Respekt vor ihnen – und auch etwas Mitleid. Er weiß, wie anstrengend es ist, wenn sie Patienten auf einem Tragestuhl aus der Wohnung bugsieren müssen. Doch Karl Knödler und Eduard Schneider mussten Verletzte mitunter aus dem vierten Stock tragen – ohne große Hilfsmittel. Karl Knödler hat auch erfahren, dass die Erwartungshaltung an Retter viel größer geworden ist. Früher hätten die Patienten im Welzheimer Wald trotz eines nächtlichen Herzinfarktes noch bis in die Morgenstunden gewartet, bis sie den Rettungsdienst gerufen hätten. Heute gebe es viel mehr Einsätze.

Eduard Schneider und Co. erinnern sich an 24 Stunden-Schichten an sieben Tagen in der Woche. Schneider schildert, wie er vor Jahrzehnten ein Frühchen in einem Inkubator in eine Spezialklinik nach Ulm transportieren musste. Dann sei der Sauerstoff für das Frühchen ausgegangen. Er habe dann einfach während der Fahrt den Deckel aufgemacht – und ein lebendiges Baby abgeliefert. „Über uns könnten Sie ein Buch schreiben“, sagt DRK-Kollege Gerhard Weng und lacht. Die Tragen hätten anfangs noch keine Rollen gehabt – auch daher rührten die vielen Bandscheibenvorfälle. Und doch hält Eduard Schneider fest: „Ja, es hat Spaß gemacht“, wie sie damals als junges Team gemeinsam Dienst gehabt hätten, schließlich zu zweit mit dem Kranken- und Rettungswagen ausgerückt seien und ihre Arbeit immer professioneller wurde.
Karl Knödler hat diese Quantensprünge beim Rettungsdienst bis Ende August dieses Jahres mitgemacht. Seine alten Weggefährten und auch junge Azubis der DRK-Rettungswache zollten ihm und seinen Kollegen dafür Respekt. Denn trotz aller Hindernisse sei ihr Einsatz ein Erfolgsmodell gewesen, stellt Wachleiter René Demisch fest. Weil sie Menschen retten konnte, habe sich der Rettungsdienst professionalisiert. Und nun rettet eine neue Generation von DRK-Helfern den Menschen im Welzheimer Wald und darüber hinaus das Leben – mit moderner Gerätemedizin – und mit „Auge und Hand“.

Info:
DRK-Rettungsdienstleiter Marco Flittner würdigt die Leistungen der altgedienten Retter. „Es gab auch keine psychologische Betreuung“, betont er. „Wir haben das unter uns Kollegen ausgemacht“, sagt Eduard Schneider. Flittner: Es hat einen „unglaublichen Wandel gegeben“ in puncto Ausbildung, Technik und Ausrüstung. Und diesen Wandel hat Karl Knödler in knapp 45 Berufsjahren mitgemacht. Früher gab es Vorträge über Knochenbrüche, gibt Marco Flittner ein plakatives Beispiel. Heute würden Notfallsanitäter an Simulationspuppen ausgebildet, die Zehntausende Euro kosteten. Dieser Wandel begann bereits in den 70er Jahren, weg vom schnellen Transport in die Klinik hin zur notfallmedizinischen Versorgung direkt am Ort des Geschehens.